Alexa Feser

Alexa Feser „Zwischen den Sekunden“ (Warner Music / DolceRita Recordings)

Für ihr neues Album ist Alexa Feser wieder einmal in einen anderen Stadtteil umgezogen. So, wie sie es für ihr letztes Album getan hat und auch für ihr nächstes tun wird. „Sobald es zu bequem wird, entsteht bei mir nichts Neues“, lautet ihre schlichte Begründung, und so hat sie sich dieses Mal dort niedergelassen, wo Berlin besonders unbequem ist – hektisch, laut, überfüllt –, aber auch besonders spannend: am Berliner Alexanderplatz. „Hier laufen unglaublich viele unterschiedliche Menschen herum: Touristen, Geschäftsleute, Liebespaare, Kriminelle, Menschen in Not – Menschen, deren Geschichten du kennenlernst, die oft sehr emotional sind und einen manchmal richtig sprachlos machen“. Diese Momente sind es, nach denen die 36- Jährige sucht – Momente, die sprachlos machen. Weil sie so intensiv, so komprimiert sind, dass ein ganzes Leben darin enthalten sein kann. Alexa Feser nennt diese Momente „Zwischen den Sekunden“ – so der Titel ihres neuen Albums, das am 27.01. erscheint.

„Manchmal kann sich in Sekundenbruchteilen alles entscheiden“, erklärt sie. „Ob du jemanden sympathisch findest oder nicht. Ob du dich verliebst oder nicht. Kriege werden angezettelt, Schicksale besiegelt. Ein Moment, so lang wie eine Ewigkeit. So sind auch die Texte: sie handeln von Momenten, in denen sich emotional immer alles entscheidet“. Die Liebe zur ganz großen Geste gepaart mit dem Blick für die allerkleinsten Dinge – schon auf ihrem Warner-Debüt „Gold von morgen“ (2014) brillierte Alexa Feser als präzise Alltagsbeobachterin. Eine Top-20-Platzierung, die Nominierung als „Künstlerin Rock/Pop

national“ beim ECHO 2015 und mehrere ausverkaufte Touren waren der verdiente Lohn für die Sängerin, Songwriterin und Pianistin – und die Erkenntnis, dass der Mut honoriert wird, seine Gefühle nach außen zu kehren: „Man muss sich total zeigen und darf nichts verbergen nur weil man denkt, dass es ungemütlich ist“, so Alexa, die überzeugt ist: „Gerade in den jetzigen Zeiten ist es wichtig, dass man kommuniziert, wofür man steht.“

Diese klare Haltung merkt man dem Album vom ersten bis zum letzten Song an. In „Mensch unter Menschen“ beispielsweise: „Nicht auf Kommando gelacht und auf Befehl funktioniert / Dich nicht als Sieger gesehen, nur weil ein anderer verliert“, heißt es in dem Stück, das all jenen gewidmet ist, die unsere Gesellschaft in ihrem Innersten zusammenhalten – auch und gerade dort, wo keine Likes auf Facebook dafür winken. „Es gibt so viele, die unbemerkt von der medialen Öffentlichkeit die Welt ein Stück besser machen. Nur werden wir sie wahrscheinlich nie kennenlernen, weil sie einfach ein ‚Mensch unter Menschen’ sind“, ist sich Alexa Feser sicher. „Dieser Song ist ein Aufruf, die bestmögliche Version von sich selbst zu sein.“ Schließlich haben wir höchstwahrscheinlich nur ein Leben und ganz sicher nur eine Erde – ein hochgradig aktuelles Thema, das sie im Song „Wunderfinder“ verarbeitet: „Bist du ein Wunderkind oder für Wunder blind / Sag mir ob du verstehst, dass wir ein Wunder sind“, singt Alexa, der gelingt, woran viele der übrigen deutschsprachigen Songwriter scheitern: neue und überraschende Bilder für ein Thema zu finden, zu dem vermeintlich schon alles gesagt wurde.

Neu und überraschend ist auch, dass Alexa auf „Wunderfinder“ erstmals mit einem anderen Künstler kollaboriert, dem Rapper Curse. „Ich hatte das Gefühl, der Song braucht einen Mitspieler“, berichtet sie. „Ich wollte aber kein klassisches Duett mit einem Sänger oder einer Sängerin. Sondern es sollte jemand sein, der im deutschsprachigen Hip-Hop das macht, was ich im Gesang mache“. Der Plan ging auf: „Du kannst mehr tun als den Schrott sehen, mehr tun als den Trott leben, die Schuld an allem Gott geben / Wir können mehr tun als den Sinn suchen: wir können den Sinn geben“, liefert Curse die gerappte Komplementärfarbe zu Alexas gesungen Zeilen. Das Storytelling, die Bildhaftigkeit und Informationsdichte und die Themen ihrer Lieder machen sie vielleicht sogar zu einer heimlichen Hip-Hop-Künstlerin – nur, dass sie eben nicht rappt.

In ihren Songs erzählt sie davon, wie es ist, ein Mensch auf dieser Welt und in dieser Zeit zu sein – tiefgründig und unangepasst, nie eitel oder selbstverliebt, manchmal in einer Sprache, die für eine Frau ungewöhnlich hart ist (zumal für eine so schöne) – und die, wenn es notwendig ist, auch dahin geht, wo es wehtut. In „Paradies im Kopf“ beispielsweise, das eine apokalyptische Welt skizziert, in der sich ausdruckslose Menschen wie Zombies durch zerstörte Straßenzüge bewegen, auf die rostiger Regen fällt. „Wir alle haben diese Tage, in denen wir rausgehen und das Gefühl haben, das könnte hier auch Endzeitstimmung sein“, befindet Alexa. „Graue Betonwüsten, Menschen, die nur noch auf ihr Handy starren und bei deren Ausdruck du denkst, die könnten schon lange tot sein.“ Doch Alexa Feser wäre nicht Alexa Feser, würde sie uns eine solche Situation einfach so vor die Füße schmeißen. Stattdessen bietet sie Auswege an – in diesem Fall den Rückzug in das titelgebende Paradies im eigenen Kopf.

Neben solchen gesellschaftskritischen Songs ist und bleibt es ihre große Gabe, Gefühle in zeitlos gute Zeilen zu gießen: noch nie war ein Herz so plastisch wie in „Herz aus zweiter Hand“, die Liebe wird einer akribischen „Inventur“ unterzogen, der radikale Neuanfang „Nach Norden“ mit der so schlichten wie schlagenden Formel „Herz geht vor“ begründet. Alexa Feser versteht sich wie kaum eine Zweite darauf, Zweifel und Ängste in positive Botschaften und einen gestärkten Blick nach vorn umzubiegen. Ganz einfach, weil sie selbst daran glaubt. Um es mit einer anderen Zeile aus „Mensch unter Menschen“ zu sagen: „Aus der dramatischen Nachricht Konfetti gestanzt / Sie in den Himmel geworfen und darin getanzt“. Die Musikerin ist eine Chronistin der kleinen und großen Dinge, die in ihren Liedern die Welt und die Menschen betrachtet – oft durch das Mikroskop, manchmal aber auch aus der Vogelperspektive. Die deutsche Sprache so ganzheitlich und wortgewaltig einsetzt, wie sonst nur ein Herbert Grönemeyer oder ein Udo Lindenberg es vermögen.

Dahinter steckt, man ahnt es – eine Menge Arbeit. „Die ganzen Geschichten und Emotionen zu erleben, ist das eine. Aber wie packst du sie richtig in Worte?“, so Alexa, die betont: Ich finde nichts schlimmer, als die Standardvariation zu nehmen, um Themen auszudrücken, sondern ich möchte ein spezielles Bild haben. Und das bedarf sehr viel Kopfenergie“. Da hilft es, dass mit ihrem langjährigen Kreativpartner Steve van Velvet ein Mensch an ihrer Seite ist, der sie blind versteht – und mit dem sie sich schonungslos ehrlich die Meinung sagen kann, wenn es um das Feilen an den richtigen Worten geht: „Der eine zerreißt es, der andere jubelt es hoch, es ist ein Prozess fast wie ein Battle“, kommentiert Alexa. „Wir sind die größten Freunde, aber auch die größten Feinde, weil wir uns nur dann bejubeln, wenn wir wirklich merken: ja, das ist es!“ Müßig zu erwähnen, dass Alexa Feser dieselben hohen Maßstäbe auch ansetzt, wenn sie ihre Melodien komponiert. Immerhin: „Wenn der Text emotional und inhaltlich stimmt, trägt er manchmal bereits eine eigene Melodik in sich – einen Duktus, einen bestimmten Rhythmus.“ Da Steve van Velvet außerdem Co-Produzent des Albums ist, nahm man anschließend bereits sämtliche Vocals bei ihm auf: „Steve und ich sind sehr zielstrebig.“, lacht Alexa.

Dort angekommen, setzte man sich mit den Beatgees zusammen. Das Berliner Produzenten-Team (u.a. Curse, MoTrip, Fabian Römer) hörte sich die Stücke an – und sie verstanden. „Einerseits habe ich meinen Stil, der sich wie ein roter Faden durch alles zieht, was ich mache – ich sitze am Klavier, schreibe Songs und singe. Andererseits bin ich mit den Themen dieses Albums zeitgemäßer geworden“, fasst Alexa in Worte, was sie sich nun auch von den Beatgees erhoffte: das Gegensatzpaar „zeitlos“ und „zeitgemäß“ klanglich zu vereinen. Ein Unterfangen, das herausragend gelang: überraschende Samples und unkonventionelle Soundeffekte brechen immer wieder die klassischen Arrangements des Babelsberger Filmorchesters auf, die in all ihrer gleißenden Größe noch einmal eine deutliche Weiterentwicklung zu „Gold von

morgen“ darstellen, ebenso wie die präzisen Chorsätze, von Alexa ebenfalls selbst entwickelt: „Ich habe mir viele Gedanken gemacht: wie kann ich meine Stimme anders einsetzen, dass sie noch einen anderen Charakter bekommt? Ich singe prägnanter, traue mich mehr. Ich glaube, ich bin noch mal gewachsen“. Alexa Feser ist für ihren nächsten Umzug gerüstet.

© Nico Cramer, 2016

Bildrechte: Marcel Schaar

KünstlerInnen:

  • Alexa Feser

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